Die Aktdarstellung, die von Beginn an zum akademischen Repertoire der Künstler gehörte, erlebte zu Anfang des 20. Jahrhunderts einen Höhepunkt. Von den Zwängen der akademischen Tradition befreit, entwickelte sie sich zu einer eigenständigen Gattung der bildenden Kunst.
Der nackte Körper, insbesondere der der Frau, wurde mit dem Auftakt des neuen Jahrhunderts zur Projektionsfläche für neue, alternative Lebensentwürfe und gesellschaftliche Erneuerungsbestrebungen. Diese wurden zugleich von den Vorstellungen der Lebensreform und den Idealen der Freikörperkultur geprägt.
Das akademische Aktstudium, das sich an einem traditionellen Kanon einstudierter Posen ausrichtete und sich zwischen Idealismus und Naturalismus bewegte, wurde von den Künstlern des ausgehenden 19. Jahrhunderts zunehmend zur veralteten Kunstauffassung erklärt und als größter Gegensatz zum lebendigen Leben begriffen.
Auf der Suche nach einem lebensnahen Ausdruck wandten sich die Künstler der Beobachtung des alltäglichen Lebens zu. Eine bildliche Umsetzung fand dies beispielweise im Impressionismus. Der Expressionismus mit seiner kraftvollen Malerei verlieh dem Akt demgegenüber eine veränderte psychische Dimension. Die Maler strebten nach einem gesteigerten emotionalen Gehalt.
Von der akademischen Bildkonvention befreit, erlebte der nackte Körper zudem eine Emanzipation aus den Bezügen der Historie und Mythologie. Männer und Frauen aus dem unmittelbaren Lebensumfeld standen den Künstlern nun Modell. Sie zeigten sich in der freien, unkultivierten Natur oder bewegten sich ungezwungen in der Wohnung und dem Atelier.
Auch Weisgerber hatte sich mit dem nackten menschlichen Körper immer wieder auseinandergesetzt und ihm beständig neue Bedeutungszusammenhänge jenseits des akademischen Aktstudiums verliehen.
Seine Studienaufenthalte in der freien Natur brachten auch einige männliche Aktstudien hervor, aus denen sich das Thema des heiligen Sebastian entwickelte.
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