Grenzgänger der Moderne

Albert Weisgerber gehörte zu jener aufstrebenden Malergeneration des frühen 20. Jahrhunderts, die wie August Macke und Franz Marc, den Weg in die Moderne wies.

Zur Entfaltung seines künstlerischen Œuvres blieb dem Maler jedoch nur wenig Zeit vergönnt. 1915 fiel er mit 37 Jahren als Leutnant und Kompanieführer bei Fromelles in Französisch-Flandern. Damit fand sein vielversprechendes Künstlerleben im Ersten Weltkrieg ein jähes Ende. In der kurzen Zeit seines künstlerischen Wirkens vollzog sich in seiner Arbeit eine rasante Entwicklung, die maßgebende Positionen der Moderne vom Impressionismus bis hin zu einem Expressionismus eigener Form und Prägung durchlief. Im Gegensatz zu zahlreichen Künstlern der Avantgarde, die sich zunehmend der Abstraktion verpflichtet fühlten, blieb Weisgerber an das Menschenbild und die Wiedergabe der realen Welt gebunden. Porträts, Selbstbildnisse und das Figurenbild bestimmen neben einzelnen Landschaften und Vorstadtbildern sein Schaffen.

Bekannt wurde der St. Ingberter Maler vor dem Ersten Weltkrieg vor allem als Gründungsmitglied und erster Präsident der Neuen Münchner Secession. In München, wo er studierte und den größten Teil seines Lebens verbrachte, fand Weisgerber seine zweite Heimat. Innerhalb der großen und umwälzenden Kunstströmungen seiner Zeit erwies sich Weisgerber als ausgesprochener Grenzgänger. Neben dem Einfluss der dunkeltonigen Malkultur der Münchner Schule wurden sowohl die Auseinandersetzung mit der Lichtmalerei des Impressionismus als auch der Expressionismus mit seiner psychischen Ausdruckskraft richtungsweisend. 

Auch Paris als Kristallisationspunkt der Moderne war für seine Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Im legendären Pariser Café du Dôme, dessen Künstlerkreis er zwischen 1905 und 1907 mit Unterbrechungen angehörte, fand er wie viele aus dem Ausland kommende Künstler eine feste Anlaufstelle. Cézanne, Toulouse-Lautrec, Matisse und Manet gewannen auf ihn Einfluss.

Biblische-religiöse und mythologische Stoffe nehmen vor allem in den letzten Jahren von Albert Weisgerbers Schaffen einen herausragenden Rang ein. Die Begegnung mit der italienischen Renaissance-Kunst wurde ihm zu einem tiefgreifenden Erlebnis. In starkem Maße zeigte er sich von der Figur des heiligen Sebastian fasziniert, die als Symbolgestalt auf die Existenz des Künstlers zu beziehen ist.

Weisgerber, dessen Werk epochale Brüche und Spannungen durchlebte, suchte eine eigenständige Position zwischen der Tradition und den Avantgarden. In seiner Ernsthaftigkeit und künstlerischen Ausdruckskraft aber auch in seiner Zerrissenheit steht sein Schaffen in der Krisenzeit vor dem Ersten Weltkrieg beispielhaft für den suchenden Aufbruch einer ganzen Generation.